Manchmal, so finde ich, fehlt es der deutschen Sprache an der nötigen Prägnanz. Zwar ist Quatsch ein sehr originelles und durchaus starkes Wort – aber an die Kraft von Bullshit kommt es einfach nicht heran. Mit einem einzigen „Bullshit!“ stelle ich etwas unwidersprochen richtig, während ich mit einem „Quatsch!“ auf lange Rechtfertigungen und Widerreden gefasst sein muss. (Und „Bullenscheisse!“ konnte sich bei uns leider nie etablieren.)
Harry G. Frankfurt, Philosoph in Princeton, hat mir nun den Gefallen getan, das Wort „Bullshit!“ mit unvergleichlicher Prägnanz zu definieren und zugleich die Schädlichkeit von Bullshit zu entlarven. Sein Büchlein On Bullshit (Suhrkamp) habe ich zwar noch nicht gelesen, aber das Interview im Magazin 13/2006 ist sehr verheissungsvoll.
Was bedeutet Bullshit?
„Es heisst, die Wahrheit zu entstellen, ohne sich einer Verzerrung bewusst zu sein. Sogar zu denken, es ist besser, etwas Unwahres zu sagen als gar nichts. […] Und es kann bedeuten, dass jemand dich manipulieren will. […] Bullshit ist eine Technik, die Wahrheit zu verbergen. Es geht dabei gar nicht so sehr darum, ob jemand lügt oder nicht. Es geht vielmehr darum, dass jemandem, der im System des Bullshit denkt und lebt, irgendwann das Gefühl dafür abhanden kommt, dass er womöglich auch mal die Wahrheit sagen könnte. Insofern ist Bullshit schlimmer als Lüge – weil dabei die Vorstellung von Wahrheit ganz verschwindet.“
Und warum gibt es so viel Bullshit?
„Bullshit ist ein Weg, ein Ziel zu erreichen. Einen Fernseher zu verkaufen, eine Wahl zu gewinnen, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Aber das ist nicht der einzige Grund: Es gibt heute einfach so viele, die dafür bezahlt werden, dass sie reden. Und diese Leute müssen weiter und weiter reden, selbst wenn sie nicht wissen, wovon sie sprechen.“
Ist Bullshit schädlicher als Lügen?
„Der Lügner gibt wenigstens zu, dass es einen Unterschied gibt zwischen Wahr und Falsch – der Bullshitter leugnet diesen Unterschied. Und damit untergräbt er ein sehr wichtiges Fundament unserer Kultur, den Respekt vor der Wahrheit. […] Der Schaden durch Bullshit ist viel tief greifender. […] Sobald jemand anfängt, seinen eigenen Bullshit zu glauben, ist er in grosser Gefahr.“
Ist Bullshit nur negativ?
„Er ist ein effizientes Mittel, um soziale Beziehungen zu erleichtern. Ein soziales Schmiermittel. […] Bullshit füllt auch das aus, was wir über uns selbst nicht wissen. […] Bullshit kann sehr kreativ sein. Bullshit kann Spass machen und Neues in die Welt bringen.“
Und zum Schluss die ganz grosse Frage: Macht Wahrheit glücklich?
„Es ist auf jeden Fall das Einzige, das mich glücklich macht. Alles, was im Leben verlogen ist, ist deshalb unbefriedigend, weil es der Wirklichkeit widerspricht. Wenn das, was du tust, nicht wahrhaftig ist, dann ist es egal, ob du bekommst, was du willst oder nicht – denn das, wovon du denkst, dass du es willst, ist nicht das, was du wirklich willst. Nur wenn das Leben wahrhaftig ist, ist es auch harmonisch.“