„Zehn Gründe, weshalb Sie unbedingt einen Blick in die neue Verfassung werfen sollten“ titelte der Tages-Anzeiger letzten Donnerstag. Und opferte fast die ganze Frontseite des Zürich-Bundes, um uns mit ebenso stichhaltigen wie witzig formulierten Argumenten schmackhaft zu machen, was auf der folgenden Doppelseite abgedruckt war: die zukünftige Verfassung des Kantons Zürich, die am 27. Februar zur Abstimmung kommt.
Wohl selten ist das gegenwärtige politische Desinteresse in einer der ältesten Demokratien der Welt so schön auf den Punkt gebracht worden: Heute muss man also den Stimmbürger nach allen Regeln der Kommunikation dazu motivieren, dass er sich einen Verfassungsentwurf vor der Volksabstimmung überhaupt einmal anschaut – während es Länder in dieser Welt gibt, in denen derartige Rechte nicht einmal auf dem Papier existieren.
Abgesehen davon, dass die Verfassung die Grundlage aller Gesetze bildet und uns diese Gesetze im Alltag immer wieder ganz persönlich betreffen: Diese Lektüre ist eine gute Gelegenheit um sich wieder einmal mit ganz grundlegenden Fragen zu beschäftigen.
- In was für einer Gesellschaft möchte ich leben?
- Welche Ideale und Prinzipien sind die Grundlagen meines Denkens?
- Und wie kann man diese vielschichten, komplexen Themen am Schluss in einige wenige Sätze fassen, die präzise und doch allgemein genug sind, dass sie als Grundlage für die Gesetzgebung dienen können?
Auch wenn diese Fragen ernst sind und ernsthafte Antworten erfordern: Gelegenheitlich kann es auch ganz unterhaltend sein, die neue Kantonsverfassung zu lesen. So steht etwa im Kapitel „Grundrechte“ unter Art. 12:
„Die Sprachenfreiheit umfasst auch die Gebärdensprache.“
Anfangs neigte ich ja dazu, dies im Zusammenhang mit Art. 11 zu sehen, wo es um die Rechtsgleichheit aller geht und auch Behinderte erwähnt sind. Inzwischen frage ich mich aber, ob es nicht eher darum geht, dass die Redefreiheit auch den Einsatz der Hände umfasst. Sagt also Art. 12 aus, dass der Stinkefinger eine durch die Grundrechte geschützte Meinungsäusserung ist? Ich bin ja gespannt auf die Abstimmungspropaganda im Februar…