Die Rüstungsspirale im Marketing
30. Januar 2005 | Tim SpringerDas Vokabular im Marketing wird immer kriegerischer: Nach Viral Marketing und Guerilla Marketing kommt nun das Stealth Marketing. Hinter all diesen Konzepten steckt dasselbe Problem: Konventionelle Marketing-Methoden erzielen nicht (mehr) die erhoffte Wirkung bei den Konsumenten, weil diese von Werbung überflutet werden und ihr auch kritisch gegenüberstehen. Selbst die Medien sind nicht mehr uneingeschränkt vertrauenswürdig, seit es Dauerwerbesendungen, Sponsoring, Product Placement und Publireportagen gibt. Konsumenten verlassen sich lieber auf Empfehlungen von anderen Konsumenten, was im Zeitalter des Internets nicht nur Mund-zu-Mund, sondern auch über Opinion-Portale wie Ciao oder DooYoo funktioniert.
Vor diese Herausforderungen gestellt haben die Marketing-Strategen eine effektive, aber auch zynische Antwort gefunden: Wenn die Konsumenten unserer Werbung nicht mehr glauben, sondern nur noch anderen Konsumenten, dann bezahlen wir doch einfach Konsumenten dafür, dass sie für uns Werbung machen – und zwar ohne dass sie dies offen zugeben. Marqui und BzzAgent sind zwei Beispiele dafür (mehr dazu bei Markus Breuer).
Natürlich: Member-get-Member-Programme sind fast so alt wie das Marketing, und sowohl seriösen Kreditkarten-Institute als auch obskure Sekten leben von diesem Prinzip, dass bestehende Kunden neue Kunden anwerben und einen Vorteil daraus ziehen. Der Unterschied zum Stealth Marketing ist aber, dass a) dieser Zusammenhang relativ offensichtlich ist und b) die bestehenden Kunden einigermassen überzeugt sein müssen von dem, was sie da empfehlen – sonst wären sie ja keine Kunden mehr. Stealth Marketing bezahlt hingegen Personen dafür, dass sie beispielsweise über Leserbriefe, Forumseinträge oder Blogs ein Produkt ins Gespräch bringen – ohne dass diese Person offenlegt, dass sie für diese Meinungsäusserungen vom Hersteller dieses Produkts Geld bekommt.
Klar nützt es mir als Konsument trotzdem mehr, wenn ich ein gutes Produkt aufgrund eines Stealth-Agenten kaufe, als wenn ich Schrott kaufe, der mir dafür von einem absolut unabhängigen Idioten empfohlen wurde. Trotzdem empfinde ich diese Methoden als unlauter, weil mich hier nicht jemand überzeugen, sondern instrumentalisieren will. Wenn mir Martina Hingis im Werbeblock vor der Tagesschau eine Waschmaschine empfiehlt, dann kann ich das einordnen. Wenn hingegen ein halbes Dutzend Forumseinträge von scheinbar kritischen Konsumenten eine ganz andere Waschmaschine lobend erwähnen, dann habe ich keine Chance zu erkennen, dass ich gerade einem raffinierten Marketingkonzept auf den Leim gehe und meinen Teil dazu beitrage, einen herstellergesteuerten Schneeballeffekt ins Rollen zu bringen.
Die ernüchternde Lehre: Traue keinem – sondern bilde Dir immer Deine eigene Meinung. Als Europäer sollte uns dieses Prinzip zwar schon seit dem 17. Jahrhundert vertraut sein (siehe Wikipedia: Aufklärung), aber es macht Sinn, sich im Zeitalter der absoluten Vermarktung wieder einmal daran zu erinnern.
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