Little Brother

2. März 2005 | Tim Springer

«Alltag» heisst das publizistische Projekt, mit dem uns die AZ Medien Gruppe einen Langzeiteinblick in das Leben einer Aargauer Familie vermitteln will. Einmal mehr soll also Voyeurismus Quote bzw. Auflage bringen, und konsequenterweise wird «Alltag» sowohl durch Printmedien (Aargauer Zeitung, Aargauer Woche) als auch durch elektronischen Medien (Radio Argovia, Tele M1) und das Internet (www.alltag.ch) begleitet. Zwar bemüht man sich in Aarau um Distanz zu anderen Projekten der jüngsten Vergangenheit:

„«Alltag» ist nicht vergleichbar mit Fernsehformaten wie «Big Brother» oder «Leben wie zu Gotthelfs Zeiten». Denn bei «Alltag» wird nichts inszeniert. Sondern es wird abgebildet, was ist: das ganz normale Leben mit all seinen kleinen Höhen und Tiefen. Dabei wird die Privatsphäre der Familie respektiert.“

Nur beobachten – nichts beeinflussen oder gar inszenieren: Diesem hehren Ideal haben schon in den 60er und 70er Jahren die Dokumentarfilmer nachgelebt – und sie mussten schliesslich einsehen, dass bereits die reine Präsenz von Kameras und Mikrofonen das Verhalten der beobachteten Menschen beeinflusst. Das wird bei «Alltag» nicht anders sein. Und was die Respektierung der Privatsphäre anbelangt: Massenmedien schaffen per Definition Öffentlichkeit, während sich Privatsphäre genau durch den Ausschluss der Öffentlichkeit definiert.

Kurz: Die Medienmacher aus dem Aargau versprechen etwas, das sie eigentlich gar nicht halten können. Und sollten sie es wider Erwarten trotzdem schaffen, dann wird «Alltag» etwa so spannend werden wie Schlangestehen, Tramfahren oder Abwaschen.

Nachlese: Aufschlussreich ist das Interview mit Jörg Meier, dem Initianten des Projekts, in Persönlich. Meine Bedenken kann er allerdings nicht zerstreuen – im Gegenteil: Sieben Journalisten werden ausschliesslich für das Projekt abgestellt…

1 Kommentar

  1. Kommentar von Ursula Fischlin

    Projekt „Alltag“
    Genau Ihrer Meinung bin ich auch, vor allem jetzt nach der Wahl.
    Schade, es hätte mit Sicherheit bessere Familien gehabt.
    So aber wird Tramfahren und Abwaschen mit Sicherheit spannender sein als der „Alltag-Familien-Alltag“


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