Alle kennen einen

12. Februar 2005 | Tim Springer

“Alle kennen einen, der es geschafft hat.” So erklärt Peter Baumgartner (bis vor kurzem Afrika-Korrspendent des Tages-Anzeigers), warum viele Afrikaner in Europa das suchen, was ihnen in Afrika fehlt: eine Perspektive in Form von Arbeit und Einkommen.

In Kenia beispielsweise gibt es für 450’000 neue Arbeitssuchende pro Jahr gerade mal 30’000 Stellen. Unter diesen Umständen haben viele nur die Wahl, sich als Söldner in einem bewaffneten Konflikt wortwörtlich durchs Leben zu schlagen oder eben zu emigrieren. Dass dabei manchmal auch das Asylrecht missbraucht wird, verwundert unter diesen Umständen nicht – schadet allerdings den tatsächlich Verfolgten, die es natürlich auch in Afrika gibt.

Für Baumgartner steht fest:

“Das Dilemma ist nicht lösbar, es sei denn, Afrika kann möglichst schnell möglichst viele Arbeitsplätze schaffen. Solange sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in Afrika nicht radikal bessern, werden immer wieder junge Menschen nach Europa drängen.” (AMNESTIE! Das Magazin für die Menschenrechte, Nr. 41, Februar 2005)

Nur: Die Welt ist bisher an der Aufgabe, die Verhältnisse in Afrika radikal zu verbessern, grandios gescheitert. Das neuste Patentrezept des französischen Präsidenten Jacques Chirac am Weltwirtschaftsforum 2005, eine Sondersteuer für Nationen mit einem Bankgeheimnis zugunsten der Entwicklungsländer einzuführen, ist da mehr politische Taktik als ein ernstzunehmender Lösungsversuch. Stellvertretend für die Schweizer Banken pariert denn auch die NZZ am Sonntag am 30. Januar 2005 mit einem ähnlich sinnvollen Vorschlag:

“Mutiger wäre es gewesen, Chirac hätte Kompensationen für die schädlichen Rüstungsexporte nach Afrika in Aussicht gestellt. Laut offiziellen Angaben […] hat Frankreich zwischen 1994 und 2003 Waffen im Wert von durchschnittlich 135 Millionen Euro jährlich nach Afrika exportiert.”

Ein sichtlich desillusionierter Markus Häfliger zweifelt zudem daran, dass mehr Entwicklungshilfe die Lösung der afrikanischen Misere ist:

“Keine Region der Welt wurde so mit Entwicklungshilfe überschüttet: insgesamt 300 Milliarden Dollar seit 1960. Gemessen am Bruttoinlandprodukt der Länder betrug der Anteil westlicher Hilfe in den neunziger Jahren durchschnittlich 5,5 Prozent, mehr als doppelt so viel, wie Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Marshall-Plan erhielten. Dennoch bleibt Afrika die einzige Region der Welt, in der das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen seit 30 Jahren sinkt.”

Schuld daran seien die afrikanischen Regierungen, die keine gesicherten Eigentums- und Rechtsverhältnisse schaffen, die ihre Finanzen oft zu Lasten der Bevölkerung aufbessern, die sich nicht für gesellschaftliche Modernisierung und Menschenrechte einsetzen und die Korruption gewähren lassen. Auch die neue Generation der afrikanischen Politiker – Mbeki (Südafrika), Museveni (Uganda), Kagame (Rwandas), Meles (Äthiopien) oder Isaias (Eritreas) – hätten die Hoffnungen enttäuscht, die man in sie gesetzt hatte.

Mag ja alles sein. Auf der anderen Seite investiert die Schweiz erst zwischen 0.33 und 0.39 Prozent des Bruttoinlandprodukts BIP in die Entwicklungshilfe (Quelle: Bundesamt für Statistik). Das ist rund die Hälfte der 0.7 Prozent, auf die sich die Staatengemeinschaft schon vor Jahren geeinigt hat und deutlich weniger als in Skandinavien oder Frankreich (allerdings deutlich mehr als in den USA, wo das Entwicklungshilfebudget 0.1 Prozent des BIP ausmacht).

Auch wenn die Schweiz in dieser Statistik vielleicht zu unrecht schlechter dasteht als Frankreich (vgl. “Walter Fust stapelt tief”, NZZ am Sonntag, 6. Februar 2005): Einen Grund, uns auf unserern Lorbeeren auszuruhen, haben wir nicht – sei es mit oder ohne Bankgeheimnis.