Insulaner

11. Dezember 2004 | Tim Springer

Die Schweiz ist ein Binnenland und doch eine Insel. Eine politische Insel in der Europäischen Union, aber auch eine Hochpreisinsel im europäischen Wirtschaftsraum.

Die Preise sind nicht nur absolut (im Vergleich zu den Preisen in anderen Ländern), sondern auch relativ (im Vergleich zum Einkommen) hoch. Die landläufige Argumentation, dass wir zwar mehr zahlen, dafür aber auch mehr verdienen, greift somit nicht, jedenfalls nicht im europäischen Vergleich: Unsere Kaufkraft ist tiefer als in unseren Nachbarländern. Oder anders formuliert: Unsere Nachbarn können sich für einen durchschnittlichen Lohn mehr leisten als wir (so lange jeder in seinem eigenen Land einkauft).

Will man diese pauschale Behauptung mit Zahlen untermauern, wird es ein bisschen komplizierter. Zunächst muss man derartige Berechnungen für einzelne Produkten und Dienstleistungen separat durchführen. Besonders krass ist das Ergebnis bei den Wohnungsmieten: Schweizer zahlen im Schnitt 83 Prozent mehr Miete als im EU-Durchschnitt. Auch die Gesundheit (69%), Nahrungsmittel (46%) oder Bekleidung (20%) belasten unser Konto stärker als anderswo. Gesamthaft gesehen liegen die Preise in der Schweiz 35 Prozent über dem EU-Durchschnitt. (Alle Zahlen gem. Bundesamt für Statistik via Mieterverband, Stand 2000.) Günstiger als in der EU sind bei uns nur ganz wenige Produktegruppen, und dazu gehören ausgerechnet Tabakwaren.

Wenn wir nochmals unsere Insel-Metapher bemühen, dann scheint es da durchaus Zusammenhänge zu geben: Teurer als in der Schweiz ist das Leben nur noch in Norwegen und Island – die beiden einzigen Länder Westeuropas, die ebenfalls nicht zur EU gehören. Da scheint es schon ein bisschen schizophren, dass unsere neoliberalsten Politiker zwar den Abbau von Wirtschaftshemmnissen fordern, sich dann aber doch nicht wirklich auf den europäischen Wettbewerb einlassen wollen, den ein EU-Beitritt mit sich bringen würde.

Der Preis allein ist natürlich nur ein Aspekt der Frage „Was bekomme ich für mein Geld bzw. meine Arbeit?“. Genau so wichtig ist doch die Frage des Gegenwerts, also der Qualität. Was nützt es mir, wenn mein Zahnarzt zwar nur halb so viel kostet, mir dafür aber den falschen Zahn zieht? Habe ich wirklich mehr davon, wenn ich mir dreimal so viel Fleisch leisten kann, dieses aber nach nichts schmeckt und mit Hormonen belastet ist?

Diese Fragen sind wichtig, aber sie lassen sich nicht so leicht in Statistiken fassen. Zudem wird nicht jeder diese Fragen für sich gleich beantworten. So lange man die Wahl hat, ist dies auch kein Problem, weil jeder sein persönliches Preis/Leistungs-Optimum findet. Sobald es allerdings keinen freien Markt gibt (sei es durch monopolistische Tendenzen, sei es durch gesetzliche Vorgaben) haben wir als Konsumenten diese Wahl nicht mehr, und dann steigen auch die Preise. Während gesetzliche Vorgaben Sinn machen und aus einem demokratischen Konsens entstehen, haben Monopole und Preisabsprachen in einer sozialen Marktwirtschaft keine Berechtigung.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, das Kompetenzzentrum des Bundes für Wirtschaftspolitik, hat hierzu eine interessante Studie veröffentlicht:

„Die Konsumentenpreise sind in der Europäischen Union (EU) rund ein Drittel tiefer als in der Schweiz. Rund 45% der beobachteten Preisdifferenzen ist auf mangelnde Wettbewerbsintensität zurückzuführen und etwa die Hälfte auf unterschiedliche umwelt- und sozialpolitische Zielsetzungen in der Schweiz, die als politisch erwünscht erachtet werden. Preise wettbewerbsintensiver Güter steigen im Zeitverlauf deutlich weniger stark als Güterpreise, die auf wettbewerbsarmen Märkten gebildet werden. Zwar lässt sich durch wettbewerbspolitische Schritte allein nicht die gesamte Preisdifferenz zwischen der Schweiz und der EU eliminieren. Aber ein wichtiger Fokus der Wirtschaftspolitik muss auf der Steigerung der Wettbewerbsintensität durch verringerte Marktabschottung liegen.“ (Die Volkswirtschaft: Das Magazin für Wirtschaftspolitik 7/2003, S. 5-9)

  
Einige Quellen mit Zahlenmaterial:

  
Institutionen, die sich mit der Preisentwicklung befassen:

2 Kommentare

  1. Pingback von Weitblick » Blog Archive » Runtermieten

    […] ch 77 Prozent teurer sind die Schweizer Mieten gegenüber dem europäischen Durchschnitt – vor wenigen Monaten waren es noch 83 Prozent. Auch die Gesundheitskosten konnten innert kürzeste […]


  2. Pingback von Weitblick » Blog Archive » 14 Minuten für einen Big Mac

    […] Mac Dass die Preise in der Schweiz zu den höchsten der Welt gehören habe ich jüngst schon einmal gebloggt. Die neuste UBS-Studie “Preise und Löhne” bestätigt d […]


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