Quatsch

27. Mai 2006 | Tim Springer

Manchmal, so finde ich, fehlt es der deutschen Sprache an der nötigen Prägnanz. Zwar ist Quatsch ein sehr originelles und durchaus starkes Wort – aber an die Kraft von Bullshit kommt es einfach nicht heran. Mit einem einzigen „Bullshit!“ stelle ich etwas unwidersprochen richtig, während ich mit einem „Quatsch!“ auf lange Rechtfertigungen und Widerreden gefasst sein muss. (Und „Bullenscheisse!“ konnte sich bei uns leider nie etablieren.)

Harry G. Frankfurt, Philosoph in Princeton, hat mir nun den Gefallen getan, das Wort „Bullshit!“ mit unvergleichlicher Prägnanz zu definieren und zugleich die Schädlichkeit von Bullshit zu entlarven. Sein Büchlein On Bullshit (Suhrkamp) habe ich zwar noch nicht gelesen, aber das Interview im Magazin 13/2006 ist sehr verheissungsvoll.

Was bedeutet Bullshit?

„Es heisst, die Wahrheit zu entstellen, ohne sich einer Verzerrung bewusst zu sein. Sogar zu denken, es ist besser, etwas Unwahres zu sagen als gar nichts. […] Und es kann bedeuten, dass jemand dich manipulieren will. […] Bullshit ist eine Technik, die Wahrheit zu verbergen. Es geht dabei gar nicht so sehr darum, ob jemand lügt oder nicht. Es geht vielmehr darum, dass jemandem, der im System des Bullshit denkt und lebt, irgendwann das Gefühl dafür abhanden kommt, dass er womöglich auch mal die Wahrheit sagen könnte. Insofern ist Bullshit schlimmer als Lüge – weil dabei die Vorstellung von Wahrheit ganz verschwindet.“

Und warum gibt es so viel Bullshit?

„Bullshit ist ein Weg, ein Ziel zu erreichen. Einen Fernseher zu verkaufen, eine Wahl zu gewinnen, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Aber das ist nicht der einzige Grund: Es gibt heute einfach so viele, die dafür bezahlt werden, dass sie reden. Und diese Leute müssen weiter und weiter reden, selbst wenn sie nicht wissen, wovon sie sprechen.“

Ist Bullshit schädlicher als Lügen?

„Der Lügner gibt wenigstens zu, dass es einen Unterschied gibt zwischen Wahr und Falsch – der Bullshitter leugnet diesen Unterschied. Und damit untergräbt er ein sehr wichtiges Fundament unserer Kultur, den Respekt vor der Wahrheit. […] Der Schaden durch Bullshit ist viel tief greifender. […] Sobald jemand anfängt, seinen eigenen Bullshit zu glauben, ist er in grosser Gefahr.“

Ist Bullshit nur negativ?

„Er ist ein effizientes Mittel, um soziale Beziehungen zu erleichtern. Ein soziales Schmiermittel. […] Bullshit füllt auch das aus, was wir über uns selbst nicht wissen. […] Bullshit kann sehr kreativ sein. Bullshit kann Spass machen und Neues in die Welt bringen.“

Und zum Schluss die ganz grosse Frage: Macht Wahrheit glücklich?

„Es ist auf jeden Fall das Einzige, das mich glücklich macht. Alles, was im Leben verlogen ist, ist deshalb unbefriedigend, weil es der Wirklichkeit widerspricht. Wenn das, was du tust, nicht wahrhaftig ist, dann ist es egal, ob du bekommst, was du willst oder nicht – denn das, wovon du denkst, dass du es willst, ist nicht das, was du wirklich willst. Nur wenn das Leben wahrhaftig ist, ist es auch harmonisch.“

1984 = 2009

24. Mai 2006 | Tim Springer

Der Schnüffelstaat (ein Helvetismus, dessen Bedeutung nicht ganz so niedlich ist, wie er klingt) hat Pläne, welche die guten alten Fichen (auch so ein Helvetismus) geradezu harmlos wirken lassen:

„Der Bund will den gesamten Internetverkehr der Schweiz erfassen und speichern.“

Schreibt zumindest die SonntagsZeitung. Hierzu werden derzeit verschiedene Methoden erpropt:

„Diese dritte Variante läuft im Prinzip darauf hinaus, die so genannten ADSL-Router und Kabelmodems mit einer als Wanze funktionierenden Software auszurüsten, die im Bedarfsfall von aussen eingeschaltet werden kann. Bei UMTS-Mobiltelefonen mit ihren Internetzugängen ist das schon der Fall. Der schnelle Datenfunk hat auf Verlangen von Polizeibehörden und Geheimdiensten eine Schnittstelle für die Telefonüberwachung. Moderne Mobiltelefone können somit als Abhörstation verwendet werden.“

Sind sie nicht liebenswert, die Schweizer? Nicht in die EU wollen aus lauter Schiss vor Fremdbestimmung – aber die eigenen Bürger überwachen, dass es einem graust. George Orwell hatte eben doch recht – er hat sich nur im Datum geirrt: 2009 soll der digitale Schnüffelstaat Realität werden. Das wäre dann so etwa das Jahr, in dem alle Verbrecher dieses Landes ihren Internet-Anschluss kündigen und nur noch über die WLANs ihrer Nachbarn surfen. Oder sich zumindest eine nette Kryptografie- bzw. Steganografie-Software zulegen, damit sie weiterhin ungestört Informationen mit ihren Spezis austauschen können. 9/11 wäre jedenfalls mit dieser Massnahme ganz sicher nicht zu verhindern gewesen, denn wer einen Jet fliegen lernen kann, der wird sich auch in die Basics der Computersicherheit einarbeiten können.

Hängt nur weiterhin Vorhänge in Eure Fenster – Privatsphäre war mal!

Zum Glück

21. Mai 2006 | Tim Springer

Zum Glück habe ich ein deutsches Windows – ich hätte ja sonst keine Chance zu verstehen, was mein Rechner gerade macht:

Gedownloadet. Die meinen das tatsächlich ernst.

Schon wieder was gelernt [8]

14. Mai 2006 | Tim Springer

Ein Spa ist ein Spa ist ein Spa. Denkste! Auch hinter diesem Wort verbirgt sich eine Abkürzung. Bloss welche? Sanitas per aqua schlägt heute der Tages-Anzeiger vor, doch andernorts werden auch die Varianten Sanitas per aquas, Senare per aqua, Salus per aquam, Sanus per aquam und Solus per aqua angeboten. Da geht es mir nun allerdings wie im Lateinunterricht: So genau muss ich das gar nicht wissen.

Schlagzeilen

13. Mai 2006 | Tim Springer

Manchmal kann die NZZ überraschend humorvoll sein. Zum Festakt „100 Jahre Postauto“ mit Bundespräsident Moritz Leuenberger titelte die NZZ online:

Ein Hoch auf den gelben Wagen

Wobei aus dem Artikel nicht eindeutig hervorgeht, ob wir diesen Kalauer dem Redenschreiber Leuenberger oder den Redaktoren an der Falkenstrasse verdanken.

Diagnose positiv

9. Mai 2006 | Tim Springer

Endlich weiss ich, woran ich (und wohl auch viele andere Blogger) leide: am Zwang zum epistemischen Schreiben. Einfach gesagt bedeutet das, dass man nicht einfach aufschreibt, was man weiss, sondern dass man sein Wissen erweitert, indem man schreibt. Während man Sätze formuliert, formen sich auch die Gedanken. Wer schreibt, setzt sich mit seinen Gedanken auseinander und versteht dadurch besser. Oder umgekehrt: Wer sich Wissen aneignen will, schreibt. Ganz nach dem Motto: Wenn Du etwas verstehen willst, schreibe ein Buch darüber!

Giesskannenprinzip

5. Mai 2006 | Tim Springer

Eigentlich bin ich ja der Meinung, dass eh schon alles erfunden, alles gedacht, alles ausprobiert ist. Aber manchmal scheint es doch noch eine neue Idee zu geben. Beispielsweise diese hier:

Ein kleines Plastikrohr, das aus jeder PET-Flasche eine Giesskanne macht. Oder wäre das eher zum stilvollen Ausschenken von Soft-Drinks gedacht?

Zu finden bei www.viceversa.com.

Ich bin auch ein fliegender Teppich

3. Mai 2006 | Tim Springer

Ein Postauto mieten? Oder ein Tram? Den alten 6er oder eine Cobra? Einen Heissluftballon sogar? Wie einfallslos! Wer heute etwas auf sich hält, chartert einen Swiss-Jet!

„Möchten sie mit Freunden, Geschäftskunden oder ihrem Verein zur Premiére eines Musicals nach London, zum Besuch des Guggenheim Museums nach Bilbao oder zum Shopping nach Paris fliegen? Warum nicht ein ganzes Flugzeug chartern?“

Nobel geht die Welt zugrunde!

iKone

25. April 2006 | Tim Springer

Nur einigen wenigen Alltagsgegenständen war es vergönnt, in den Olymp der Design-Ikonen aufzusteigen: der Bialetti-Espressomaschine beispielsweise, der Coca-Cola-Flasche, der Vespa, der Corbusier-Liege, der Schweizer Bahnhofsuhr, dem Rubik’s Cube oder dem VW Käfer.

Definitiv geschafft hat es inzwischen auch der iPod. Wie sonst könnte man ein paar Tausend Menschen dazu bringen, ihr tragbares Musikwiedergabegerät zu fotografieren, um das Bild dann in der iLounge Fotogalerie zu publizieren?

„I like Mike“

25. April 2006 | Tim Springer

Mike van Audenhove (Zürich by Mike) hat mit seiner Ausstellung im Zürcher Stadthaus ein Heimspiel: der Applaus ist ihm gewiss, und das Gästebuch ist Zeuge davon, dass sich die Zürcher gerne so sehen, wie Mike sie sieht.

Nicht ganz so gnädig fällt das Urteil über die Texte aus, die Urs Widmer auf Mikes Bitte hin freundlicherweise zu den grossen Wandbildern verfasst hat. Eine nicht mehr ganz junge Besucherin beispielsweise fühlte sich bemüssigt, dem preisgekrönten Schriftsteller richtiges Deutsch beizubringen, weil er von „achtzehn verschiedenen Apfel-Rassen“ schreibt:

„Lieber Herr Widmer, streben Sie noch mehr nach Klasse auch im Text, obwohl sie nicht schlecht sind. Schreiben Sie doch das nächste Mal Apfel-Sorte (der Saft allerdings hat Rasse).“

Geradezu erfrischend dagegen der Gästebucheintrag einer offensichtlich jüngeren Besucherin:

„Die Texte von Urs sind auch toll, aber wer ist das?“

Wäre ich Urs Widmers Agent, so würde ich ihm vielleicht nahelegen, ein Blog zu führen. Das würde seinen Bekanntheitsgrad bei der Jugend massiv steigern, und er könnte sich zudem spontan zur dichterische Freiheit äussern, wenn ihm wieder einmal jemand am Zeug flicken will.