Archiv der Kategorie 'Utopia'

10 Gründe

Sonntag, den 16. Januar 2005

“Zehn Gründe, weshalb Sie unbedingt einen Blick in die neue Verfassung werfen sollten” titelte der Tages-Anzeiger letzten Donnerstag. Und opferte fast die ganze Frontseite des Zürich-Bundes, um uns mit ebenso stichhaltigen wie witzig formulierten Argumenten schmackhaft zu machen, was auf der folgenden Doppelseite abgedruckt war: die zukünftige Verfassung des Kantons Zürich, die am 27. Februar zur Abstimmung kommt.

Wohl selten ist das gegenwärtige politische Desinteresse in einer der ältesten Demokratien der Welt so schön auf den Punkt gebracht worden: Heute muss man also den Stimmbürger nach allen Regeln der Kommunikation dazu motivieren, dass er sich einen Verfassungsentwurf vor der Volksabstimmung überhaupt einmal anschaut – während es Länder in dieser Welt gibt, in denen derartige Rechte nicht einmal auf dem Papier existieren.

Abgesehen davon, dass die Verfassung die Grundlage aller Gesetze bildet und uns diese Gesetze im Alltag immer wieder ganz persönlich betreffen: Diese Lektüre ist eine gute Gelegenheit um sich wieder einmal mit ganz grundlegenden Fragen zu beschäftigen.

  • In was für einer Gesellschaft möchte ich leben?
  • Welche Ideale und Prinzipien sind die Grundlagen meines Denkens?
  • Und wie kann man diese vielschichten, komplexen Themen am Schluss in einige wenige Sätze fassen, die präzise und doch allgemein genug sind, dass sie als Grundlage für die Gesetzgebung dienen können?

Auch wenn diese Fragen ernst sind und ernsthafte Antworten erfordern: Gelegenheitlich kann es auch ganz unterhaltend sein, die neue Kantonsverfassung zu lesen. So steht etwa im Kapitel “Grundrechte” unter Art. 12:

“Die Sprachenfreiheit umfasst auch die Gebärdensprache.”

Anfangs neigte ich ja dazu, dies im Zusammenhang mit Art. 11 zu sehen, wo es um die Rechtsgleichheit aller geht und auch Behinderte erwähnt sind. Inzwischen frage ich mich aber, ob es nicht eher darum geht, dass die Redefreiheit auch den Einsatz der Hände umfasst. Sagt also Art. 12 aus, dass der Stinkefinger eine durch die Grundrechte geschützte Meinungsäusserung ist? Ich bin ja gespannt auf die Abstimmungspropaganda im Februar…

Kaffeesatz [Part 2]

Samstag, den 18. Dezember 2004

Also das mit dem Kaffeepreiszerfall ist offenbar doch nicht ganz so simpel, wie ich es kürzlich in der NZZ gelesen hatte: “Das Problem der teueren Rohstoffe” titelt heute der Tages-Anzeiger und zeigt auf, dass der Kaffeepreis seit Anfang dieses Jahres um mehr als 60 Prozent gestiegen ist.

“‘Die Preise waren seit mehreren Jahren nicht mehr so hoch’, schreibt die Internationale Kaffeeorganisation ICO in ihrem November-Marktbericht. Und da die Nachfrage das Angebot auch in Zukunft übersteigen werde, rechnet die ICO auch für 2005 und 2006 mit steigenden Preisen.”

Na watt denn nu? Steigt der Kaffeepreis oder sinkt er? Da hilft nur recherchieren – und zwar an der Quelle bei der International Coffee Organization ICO, wo statistische Daten der letzten 20 Jahre frei verfügbar sind. Was man aus diesem Zahlenmaterial mit Hilfe einer Tabellenkalkulation herausdestillieren kann, ist folgendes:

Kaffeepreise 1985-2004

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Insulaner

Samstag, den 11. Dezember 2004

Die Schweiz ist ein Binnenland und doch eine Insel. Eine politische Insel in der Europäischen Union, aber auch eine Hochpreisinsel im europäischen Wirtschaftsraum.

Die Preise sind nicht nur absolut (im Vergleich zu den Preisen in anderen Ländern), sondern auch relativ (im Vergleich zum Einkommen) hoch. Die landläufige Argumentation, dass wir zwar mehr zahlen, dafür aber auch mehr verdienen, greift somit nicht, jedenfalls nicht im europäischen Vergleich: Unsere Kaufkraft ist tiefer als in unseren Nachbarländern. Oder anders formuliert: Unsere Nachbarn können sich für einen durchschnittlichen Lohn mehr leisten als wir (so lange jeder in seinem eigenen Land einkauft).

Will man diese pauschale Behauptung mit Zahlen untermauern, wird es ein bisschen komplizierter. Zunächst muss man derartige Berechnungen für einzelne Produkten und Dienstleistungen separat durchführen. Besonders krass ist das Ergebnis bei den Wohnungsmieten: Schweizer zahlen im Schnitt 83 Prozent mehr Miete als im EU-Durchschnitt. Auch die Gesundheit (69%), Nahrungsmittel (46%) oder Bekleidung (20%) belasten unser Konto stärker als anderswo. Gesamthaft gesehen liegen die Preise in der Schweiz 35 Prozent über dem EU-Durchschnitt. (Alle Zahlen gem. Bundesamt für Statistik via Mieterverband, Stand 2000.) Günstiger als in der EU sind bei uns nur ganz wenige Produktegruppen, und dazu gehören ausgerechnet Tabakwaren.

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Kaffeesatz

Sonntag, den 5. Dezember 2004

“Espresso trinken für die Kaffeebauern” empfiehlt die NZZ. Entwicklungshilfe per Suchmittelkonsum? Der Titel weckt Neugierde, unsere Jura Impressa muss nochmals einen Kaffee (95 ml, mittelstark) rausrücken, und dann installiere ich mich auf meinem Lese-, Denk- und Schreibstuhl.

Direkt nach Erdöl ist Kaffee der zweitwichtigste Rohstoff der Welt. Im Gegensatz zu ersterem hat er aber in den letzten Jahren massiv an Wert verloren: Zwischen 1997 und 2001 ist der Preis für Rohkaffee auf einen Zwölftel eingebrochen. Der Grund dafür ist elementare Ökonomie: Die Nachfrage hat sich nicht gleich stark entwickelt wie das Angebot, insbesondere Vietnam und Brasilien haben ihre Exporte gesteigert.

Leidtragende des Preiszerfalls sind die Entwicklungsländer Mittelamerikas, wo die Kaffeebauern kaum alternative Erwerbsquellen haben und quasi nur noch zwischen Drogenanbau und Emigration wählen können. Dass Kaffeeanbau – ähnlich wie die Weinproduktion – eine langfristige Angelegenheit ist und man nicht innert Jahresfrist Produktionsflächen auf- oder abbauen kann, macht die Sache nicht einfacher. Hinzu kommt, dass den vielen Kleinproduzenten nur einige wenige grosse Kaffeehändler und -röster gegenüberstehen und die Verhandlungspositionen somit höchst ungleich sind.

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Toleranz

Samstag, den 13. November 2004

Verstörend und entmutigend, wenn sogar in einer so toleranten Gesellschaft wie in den Niederlanden der Konflikt zwischen Westen und Orient in Mord und Brandstiftung eskaliert.

Nur ganz elementare Einsichten haben da noch Bestand: Keine Toleranz gegenüber Intoleranz!